Keep Things Moving
Bewegung gehört zu den zentralen Elementen in Schaffen und Werk Charles Blockeys. Geboren 1960 in dem schottischen Städtchen Dunfermline am Firth of Forth zog es ihn schon früh nach Edinburgh und Leeds, wo er an den dortigen Art Colleges studierte. Es folgten Studienreisen nach Italien, Frankreich, Spanien, Österreich und die Schweiz, wo er weitere wichtige Impulse erfuhr und sich schliesslich als freier Künstler und Lehrer ansiedelte. Daneben zeugen zahlreiche auf Reisen nach Sardinien oder Indonesien entstandene Skizzenbücher von der Auseinandersetzung mit neuen Ländern und fremden Kulturen.
Auch die Titel seiner Werke sprechen häufig von Ortsveränderung: Rising, Earth meets Sea, Footsteps, Voyage, Diver, Flight Over, Fly Away Home, Wanderer, Late Passage evozieren Bewegung im Raum – sei dies die fussläufig erkundete Landschaft, die von früh an zu den wichtigsten Motiven in Blockeys Schaffen gehört, oder die Kontinente umspannende Fortbewegung mit dem Flugzeug oder das elementare Aufeinandertreffen von Land und Meer; Letztere stehen sowohl für unterschiedliche Aggregatzustände wie fest und flüssig als auch für gegensätzliche Existenzformen wie sesshaft und nomadisch.
Bewegung als bildnerisches Prinzip
Doch die Bedeutung der Bewegung geht über diese rein biographischen Fakten und literarischen Anspielungen hinaus. Im Schaffen selbst ist nämlich eine Bewegung zu spüren. Blockey kommt ursprünglich von der gegenständlichen Darstellung her, und die Gattungen der gegenständlichen Malerei: Porträt, Landschaft, Stillleben sind noch bis in die Gemälde und Druckgraphiken der letzten Jahre unmittelbar sichtbar: So fügt er beispielsweise in Kompositionen aus wenigen, grossen Farbflächen, die eigentlich abstrakt erscheinen, menschliche Gestalten ein und deutet den Bildraum dadurch zur Darstellung eines Landschafts- oder Innenraums um; andere Farbfeldkompositionen erhalten durch ein Netz von Linien eine landschaftliche Anmutung oder scheinen den Fokus auf den eng bemessenen Raum und die wenigen Dinge eines Stilllebens zu setzen.
Freiheit der Farbe
Doch in den jüngsten Bildern macht sich - wie der Künstler selbst sagt - eine neue Einfachheit bemerkbar: Die Kompositionen bestehen aus wenigen, flächig neben- oder übereinander aufgetragenen, meist runden Farbfeldern, die selten oder nie von Linien begrenzt oder in sich gestaltet sind. Die malerische Leistung konzentriert sich nun auf die Gestaltung von Hell- und Dunkelkontrasten und die Balance von Farbakkorden, was dem Künstler - als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Erfahrung - heute vollauf zu genügen, ja immer mehr das eigentliche Ziel der Malerei zu sein scheint. Denn schon früher beeindruckte die Farbe ihn dann am meisten, wenn sie vor dem eigentlichen Malvorgang noch ungebunden und frei auf der Palette lag. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist für ihn heute denn auch die Schlüsselfrage: Wie kann man bewusst mit der freien Farbe umgehen? Die späte Malerei des Amerikaners Mark Rothko (1903-1970) erscheint Blockey als eine extreme Formulierung dieser Freiheit der Farbe, die in ihrer Konsequenz kaum noch zu übertreffen sei.
Blockey hat allerdings Strategien entwickelt, mit denen er auf ganz eigene Art seine Forderung nach Freiheit der Farbe umsetzen kann. Die erste besteht in der Arbeit mit Glas. Im transparenten Stoff seiner meist im Raum stehenden Reliefs scheint das Farbmaterial sich frei zu entfalten und zu schweben. Die andere Strategie besteht im Malen auf grossen Bögen dünnen Papiers, das die Farbe ganz anders aufnimmt als die ungrundierte oder grundierte Leinwand. Während die Arbeit mit Glas aufwendig und zeitraubend ist, gelingt das Schaffen auf Papier naturgemäss schneller und lockerer. Diese Bögen werden dann einerseits in einem zweiten Arbeitsgang auf eine gerahmte Leinwand montiert, wodurch die Farbe einen festen Ort erhält. Dabei ist dies für den Künstler eigentlich nur eine praktische Lösung, die der Haltbarkeit seiner Werke geschuldet ist. Seiner Forderung nach Freiheit der Farbe entspricht in letzter Konsequenz nämlich andererseits die temporäre Hängung der Blätter auf Leinen im Raum oder mit Metallstiften an der Wand. So bleibt die Farbe potentiell beweglich und kann ihren Ort immer wieder wechseln. So gelingt es Blockey, eines seiner zentralen künstlerischen Anliegen zu verwirklichen: der Farbe ihre Freiheit zu bewahren.
©️2024 Heinz Stahlhut
Heinz Stahlhut ist Kunsthistoriker. Von 2008 bis 2013 leitete er die Sammlung Bildende Kunst an der Berlinischen Galerie, von 2013 bis 2019 die Sammlung am Kunstmuseum Luzern. Seitdem leitet er das Hans-Erni-Museum in Luzern.